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- Die Insolvenzantragspflicht bleibt bis Ende April ausgesetzt – aber nicht für alle!
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wurde am 28. Januar 2021 noch einmal bis zum 30. April 2021 verlängert – eine gute Nachricht für viele Schuldner, aber nicht für alle! Wer in den einschlägigen Veröffentlichungen der Wirtschaftspresse nur die Überschriften liest, wiegt sich vielleicht zu früh in Sicherheit. Unter welchen Voraussetzungen der angepasste § 1 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes („COVInsAG“) durch die nochmalige Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht weitere drei Monate „Luft“ verschafft, wird hier im Folgenden genauer betrachtet.
1. Relevanz der Aussetzung: Haftungs- und strafbewehrte Verletzung der Insolvenzantragspflicht
Die Aussetzung der Pflicht der Geschäftsführer bzw. Vorstände nach § 15a InsO bei Zahlungsunfähigkeit
(§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) einen Insolvenzantrag zu stellen, hat für die Geschäftsführer und Vorstände von Unternehmen wegen der mit einer Verletzung dieser Pflicht verknüpften zivilrechtlichen und strafrechtlichen Haftung eine große praktische Relevanz. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wirkt sich mittelbar auch auf weitere Haftungstatbestände aus. So ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG auch das von Geschäftsführern und Vorständen nach Eintritt der Insolvenzreife für bestimmte Zahlungen geltende Zahlungsverbot nach § 15b InsO bzw. vormals nach § 64 Satz 2 GmbHG oder § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG ausgesetzt, wenn die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gem. § 1 COVInsAG gegeben sind.
Diese zivil- und strafrechtliche Haftung soll auch den Rechtsverkehr davor schützen, dass insolvenzreife Gesellschaften, für deren Schulden keine natürliche Person unbegrenzt haftet (insbes. GmbH, GmbH & Co. KG und AG), ohne weiteres und ggf. auf Kosten der Gläubiger fortgeführt werden. Eine Betriebsfortführung soll im Stadium der Insolvenzreife vielmehr nur noch nach den Spielregeln des Insolvenzrechts und den dortigen besonderen Schutzmechanismen möglich sein, welche die Interessen der Gläubiger an erster Stelle im Blick haben.
Die nunmehr seit 1. März 2020 in unterschiedlicher Ausgestaltung geltende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG ermöglicht aber unter wechselnden Voraussetzungen eben diese Betriebsfortführung trotz Insolvenzreife. Die speziellen insolvenzrechtlichen Schutzvorkehrungen für die Gläubiger sind seither außer Kraft gesetzt bzw. durch § 1 COVInsAG ganz erheblich herabgesetzt. Vor diesem Hintergrund müssen die Gläubiger ihre Geschäftspartner eigenständig beobachten und die ständige Praxis ihrer Liefer- und Leistungsbeziehungen überprüfen und ggf. anpassen, um das eigene Ausfallrisiko in einem später vielleicht unvermeidbaren Insolvenzverfahren über das Vermögen des Geschäftspartners zu minimieren.
Aber auch die Stellung eines Insolvenzantrages bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Schuldner die Kontrolle an einen (vorläufigen) Insolvenzverwalter abgeben muss. Denn auch nach einer Antragstellung kann der Schuldner die bestehenden Sanierungschancen in Eigenregie nutzen, indem er sich z.B. unter einen insolvenzrechtlichen „Schutzschirm“ begibt und die Sanierung z.B. durch Einsatz eines Insolvenzplans versucht. Das COVInsAG setzt flankierend die Zugangshürden für diesen Weg der Sanierung in einem Schutzschirmverfahren bis zum 31. Dezember 2021 deutlich herab. So können sich Unternehmen, die besonders von den Folgen der COVID-19-Pandemie betroffen sind, auch dann noch unter einem „Schutzschirm“ begeben, wenn die Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist.
2. Aussetzung der Antragspflicht in Zeiten von Corona
Nach der Gesetzesbegründung der ersten Fassung des COVInsAG verfolgt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht das Ziel, den Unternehmen und ihren Geschäftsführern oder Vorständen die Zeit zu geben, um die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung der Insolvenzreife zu ergreifen, insbesondere um zu diesem Zweck staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen oder Finanzierungs- oder Sanierungsarrangements mit Gläubigern und Kapitalgebern zu treffen. Diese Zeit war zu Beginn der Pandemie auch deshalb erforderlich, weil die herrschenden Unsicherheiten die Erstellung verlässlicher Prognosen und Planungen erschwert hat.
Die Prognose- und Planungsunsicherheit hat zwar nur graduell abgenommen, gleichwohl hat sich die Zwecksetzung der Aussetzung seit dem 1. Januar 2021 etwas verschoben und zugleich verengt, so heißt es zum Hintergrund der jetzigen Verlängerung der Aussetzung bis Ende April 2021, die Bearbeitung der Anträge auf die Gewährung der beantragten Hilfen würde angesichts der Fülle der Anträge und der verfahrenstechnischen und beihilferechtlichen Voraussetzungen der Hilfsprogramme so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass eine vollständige Auszahlung der staatlichen Hilfeleistung nicht unmittelbar möglich sei. Die Aussetzung der Antragspflicht bis zum 30. April 2021 trägt demnach dem Umstand Rechnung, dass die jeweiligen staatlichen Stellen, welche die Hilfeleistungen auszahlen, mit der Bearbeitung der Anträge und der Auszahlung offenbar überlastet sind. Diese Verzögerung bei der Bearbeitung und Auszahlung soll selbstverständlich nicht zulasten der Unternehmen gehen, die staatliche Hilfeleistungen aus den zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19 Pandemie aufgelegten Hilfsprogrammen erwarten können. Die Geschäftsführer und Vorstände müssen ihre „Hausaufgaben“ im Übrigen aber bereits erledigt haben.
Zu den ab 1. Februar bis 30. April 2021 geltende Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Folgenden im Detail:
2.1 Insolvenzreife als Folge der COVID-19-Pandemie
Zunächst einmal gilt durchgehend seit der ersten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zum 1. März 2020 bis einschließlich der jetzigen Verlängerung bis zum 30. April 2021, dass die eingetretene Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht muss (§ 1 Abs. 1 Satz 2 COVInsAG). Es gilt flankierend ebenso auch jetzt die Vermutungsregel des § 1 Abs. 1 Satz 3 COVInsAG: War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.
2.2 Beantragung finanzieller Hilfeleistungen
Für die verlängerte Aussetzungsphase wird darüber hinaus verlangt, dass die Geschäftsleiter im Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 28. Februar 2021 einen Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie gestellt haben. Es handelt sich um die Hilfsprogramme, die in Reaktion auf die seit November 2020 ergriffenen behördlichen Maßnahmen, die im Dezember 2020 und Januar 2021 nochmals ausgeweitet und verlängert worden sind, insbesondere die „November- und Dezemberhilfen“, „November- und Dezemberhilfe Plus“, „November- und Dezemberhilfe Extra“, „Überbrückungshilfe III“. Nur wenn eine Antragstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen innerhalb des Zeitraums nicht möglich war, können sich Schuldner auf die Aussetzung der Antragspflicht berufen, wenn sie nach den Bedingungen des staatlichen Hilfsprogramms in den Kreis der Antragsberechtigten fallen.
2.3 Positive Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung
Die Antragstellung darf nicht offensichtlich aussichtlos sein. Wann indes „offensichtlich keine Aussicht“ auf Erlangung der Hilfeleistung besteht, ist von § 1 COVInsAG nicht bestimmt. Es wird aber zumindest der gesetzgeberische Wille erkennbar, dass keine allzu hohen Anforderungen an die Geschäftsführer und Vorstände gestellt sind. Die Ausnahme dürfte vor allem Missbrauchsabsichten einen Riegel vorschieben, weswegen die bloße förmliche Beantragung staatlicher Hilfeleistungen allein die Insolvenzantragspflicht nicht aussetzen kann.
2.4 Beseitigung der Insolvenzreife bei Auszahlung der Hilfeleistung
Eine anspruchsvolle Voraussetzung stellt die Bedingung dar, dass die mit guten Aussichten beantragte Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife zureichend sein muss. Die Verzögerung bei der Bearbeitung und Auszahlung der Hilfeleistungen muss mithin die einzige Insolvenzursache sein, d.h. die Auszahlung der beantragten Hilfeleistungen muss der einzige noch fehlende Baustein für die Beseitigung der Insolvenzreife sein. Die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verlangt hier schon seit 1. Januar 2021 mehr als in der ursprünglichen Phase der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit vom 1. März 2020 bis 30. September 2021, in der noch „Aussichten“ darauf hinreichend waren, dass eine bestehende Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden kann (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 COVInsAG). Eine Finanzplanung sollte deshalb dokumentieren, dass eine bestehende oder einzutreten drohende Liquiditätslücke im Fall der Auszahlung der Hilfeleistungen geschlossen werden kann.
3. Insolvenzantragsrecht, insbes. auch Gläubigeranträge
Schließlich noch der Hinweis, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht das Insolvenzantragsrecht berührt. Der Schuldner kann selbstverständlich seine Sanierungschancen auch durch den Einsatz der Sanierungsinstrumente der Insolvenzordnung nutzen, z.B. indem er ein Schutzschirmverfahren einleitet und in einem Insolvenzplan die für einen Neustart erforderlichen Maßnahmen regelt (Reduktion der Verbindlichkeiten, ggf. Beendigung von langfristigen Miet-, Liefer- oder Lizenzverträgen sowie arbeitsrechtliche Maßnahmen). Auch wird das Recht der Gläubiger von insolventen Unternehmen, einen Insolvenzantrag zu stellen, von der Aussetzung nicht betroffen. Das Zuwarten auf eine Auszahlung der Hilfeleistungen kann mithin auch durch einen Gläubigerantrag ein jähes Ende finden.
4. Zusammenfassung
Die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kommt für Unternehmen, die auf die Auszahlung staatlicher Hilfeleistungen warten, gerade rechtzeitig. Die Anpassungen des COVInsAG treten nahtlos mit Wirkung vom 1. Februar 2021 in Kraft. Die Voraussetzungen der Aussetzung müssen aber sorgfältig geprüft und dokumentiert werden. Durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und die immer noch bestehenden Planungs- und Prognoseunsicherheiten werden Geschäftsführer bzw. Vorstände von dem COVInsAG mitunter auf „dünnes Eis“ geführt, wenn sie die Aussetzung der Antragspflicht für sich beanspruchen. Folgende Fragen sind zu beantworten:
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